Im Norden: Islamabad und Himalayas

Es ist früher Abend als ich in Pakistans Hauptstadt Islamabad ankomme. Dort erwartet mich bereits Hamza, den ich 3 Wochen zuvor am Flughafen kennengelernt habe. Er studiert seit einem halben Jahr in Deutschland und besucht über die Semesterferien seine Familie. Mit großer Gastfreundschaft empfängt er mich, zeigt mir mein Zimmer für die nächsten Tage und überredet mich, trotz meiner Müdigkeit von der Reise, Islamabad bei Nacht zu erkunden.
Eine gute Entscheidung. Der erste Eindruck: die sauberste Stadt Pakistans. Mit dem Auto fahren wir auf der Hauptstraße, die nicht nur Islamabad, sondern das ganze Land durchquert, von Sektor zu Sektor, erkunden unterschiedlichste Wohnviertel von Arm und Reich, er zeigt mir sein Fitnessstudio, das einen großen sozialen Wert zu haben scheint, Bars und Restaurants. Ich lasse mich in ein besonders für sein gutes Fleisch bekanntes Restaurant ausführen, welches aufgrund seiner Beliebtheit mittlerweile 4 Stockwerke hat. Gegessen wird wahlweise an Tischen oder klassisch auf dem Teppich. Fleisch und Reisgerichte werden je nach Hunger einfach pro Kilo bestellt und gezahlt, ich habe mich inzwischen sehr mit Hammel-Reis oder Pulao angefreundet, wo durch das gemeinsame Kochen aller Zutaten ein ganz besonders geschmackvoller und saftiger Reis entsteht. Einzig die Tatsache, dass laut Wirt am Tag bis zu 400 Tiere über den Tisch gehen, lässt mich etwas mit den Ohren schlackern. Angeblich aus dem ganzen Land angeliefert werden die Tiere draußen am Parkplatz in einer Glasvitrine am Metzgerhaken gelagert und direkt vorort für jeden sichtbar ausgenommen. In Tönnies-Deutschland undenkbar, aber in einem Land, so viele Menschen selber schlachten, dass das Vieh sogar in der Großstadt ein Teil des Straßenverkehrs ist, ist man da einfach anders geprägt. Moment, habe ich Bar geschrieben? Natürlich wird hier kein Alkohol ausgeschenkt. Alt und Jung treffen sich Nachts in den von Bars umgebenen Parks ihrer Sektoren, und trinken ihren Chai, während sie sich über den neusten Gossip auf dem Lafenden halten. Ansonsten ist das Nachtleben eher entspannt und erweckt nicht den Anschein, als ob jeder im Ramadan die Nacht zum Tag macht.


Umso süßer, desto besser


Später kommen wir noch zur Faisal Moschee, deren Besuch sich bei Nacht wirklich lohnt, zumindest für den hübschen Anblick von außen, denn sie war geschlossen. Ohne die „schmutzigen“ Schuhe laufen wir über den Vorplatz, dessen Granit so glatt ist, dass die Lichter sich darin spiegeln wie in Wasser. Langsam war es spät und Zeit für Frühstück. Denn um 4 Uhr gehen die Sirenen an, damit auch jeder mitbekommt, dass das Fasten beginnt. Ich war noch immer satt, aber es ist scheinbar Brauch, sich den Magen so voll zu schlagen, dass man am nächsten Tag möglichst keinen Hunger hat. Abgesehen davon, dass Völlerei auch im Islam als Sünde gilt, stellt sich mir die Frage, ob der ursprüngliche Zweck des Fastens dadurch nicht verloren geht. Aber gut, in Deutschland verstecken gerade Hasen bemalte Hühnereier in den Gärten der Familien um an Jesus‘ Rückkehr aus dem Reich der Toten zu erinnern, also nehmen wir’s mal nicht so genau mit der Religion.
Später ging es dann noch auf die Margalla Hügel, die einen fantastischen Ausblick auf die Stadt ermöglichen. Die Lichtverhältnisse sind bestens geeignet für Portraitaufnahmen, aber damit verschone ich euch lieber, zumal die Äffchen hier die wahrhaftigen Poser waren. Als Tourist mit einer Kamera wird man von den Pakistanis übrigens sehr häufig gefragt, ob man nicht ein Foto von oder mit ihnen schießen könnte.





Was macht man sonst noch in Islamabad?
5x am Tag Beten, mindestens einmal davon in einer Moschee, von denen es wirklich reichlich gibt. Ich persönlich bevorzuge es, in der hintersten Ecke zu meditieren und habe dennoch das Gefühl, dass wir das Gleiche tun.
Essen! Streetfood überall und auch die kleinen Läden mit Nüssen, getrockneten Früchten, uvm. sollte man wirklich zu schätzen wissen, da man in Deutschland das 10-fache dafür zahlt. Außerdem kann man das Iftar wirklich zelebrieren. Egal ob unter Fremden im Bus, mit Freunden beim Picknick oder in Gesellschaft im Restaurant: das Fastenbrechen, das feierlich mit einer Dattel eröffnet wird, bringt einfach alle zusammen, es wird geteilt und wertgeschätzt.
Nachts ins Fitnessstudio gehen! Für mich das erste Mal überhaupt, dass ich so einen Laden von innen sehe. – So muss ich die Größe meines Bizeps rechtfertigen.
Beim Shopping Frauen aufreißen! Also so tun als ob… im Sinne von cool an die Ecke stellen und unauffällig rüber schauen. Das ist kein Witz: an vielen Shooping Malls gibt es einen separaten Eingang für Männer ohne Frauen, an dem manchmal sogar Eintrittsgeld verlangt wird. Vergleichbar mit der Türsteherlogik in unseren Clubs, die für ein ausgeglichenes Männer-Frauen-Verhältnis sorgen sollen, werden Frauen bevorzugt zum Shoppen gelassen. Modisch gestylt und meist ohne Kopftuch können junge Männer hier das unerforschte „zweite Geschlecht“ begutachten, kommentieren, aber vermutlich niemals ansprechen. (Vielleicht geschieht das auch andersherum, aber ich habe keine Frau auf Männersuche gesehen) Praktisch ist, dass die meisten Läden keine Umkleide besitzen und der trainierte Oberkörper dann beim Shirttausch vor allen hervorblitzen muss. Ob dieses auffällig unauffällige Balzverhalten jemals Erfolg hat, oder ob es gar nicht darum geht, konnte ich nicht abschließend klären. Hätte ich die beiden Playboys nicht so gern gehabt, hätte ich vor Scham schnell das Weite gesucht. Aber so hatte ich wenigstens die Gelegenheit, über Sinn und Unsinn der Geschlechtertrennung vor der Ehe zu philosophieren. Es war leider nicht die einzige Situation, in der sich mein anders vorkonditionierter Verstand in Bezug auf die Unterscheidung zwischen Mann und Frau unwohl fühlte.
Doch dass nicht alles mit Geschlechtermischung so schräg ist, zeigt unter anderem der sehr angenehme Ausflug mit Hamza und Sana, einer Freundin aus der Gegend. Sie ist super cool drauf, hat lange in den Emiraten gelebt und ist eine der Frauen, die kein Blatt vor den Mund nehmen muss und humorvoll auf stereotype Schubladen, in die sie nicht gesteckt werden möchte, hinweisen kann. Ich denke Pakistan (und Hamza 😉 ) braucht mehr Frauen wie sie.





Auf dem Karakoram Highway zum Nanga Parbat
Nun sollte es aber endlich mal ein Solo-Abenteuer geben. Da zu dierser Zeit keine Touristenbusse fahren, quetsche ich mich in einen privaten Kleinbus, der mich ein kurzes Stück nach Norden mitnimmt. Busfahrpläne gibt es überhaupt nicht. Hauptsache raus aus der Großstadt, sobald ich auf dem Karakorum Highway bin, kann ich trampen, dachte ich. Leider wurde ich viel früher als geplant an einer Kreuzung rausgelassen. Kommunikationsfehler oder Vorsatz.. egal, jedenfalls stand ich erstmal nachts an irgendeiner belebten Weggabelung weit weg vom Highway. Doch dank der sehr hilfsbereiten Menschen schaffte ich es innerhalb einer Stunde in einem weiteren Minibus zu sitzen, der mich etwas weiter brachte. An dessen Ziel angekommen fing die Hilfesuche erneut an und ich dachte, ich bräuchte 100 Kleinbusse, bis ich endlich am Ziel bin. Doch glücklicherweise kannte jemand einen Linienbus, der auch nachts bis nach Gilgit in den Himalayas fährt.

Er hatte recht. Nach meinem zweiten Abendessen kam ein Reisebus, der noch einen einzigen Platz für mich übrig hatte. Ich freute mich über gepolsterte Sitze und die Tatsache, dass der Vordersitz weit genug von mir entfernt war, dass meine Füße wenigstens auf dem Boden stehen konnten. Nachdem der einzige, der im Bus englisch sprach meine Lebensgeschichte kannte, konnte ich endlich schlafen, während er sie den anderen Mitfahrern erzählen konnte. Plötzlich reißt mich ein lauter Knall aus dem Schlaf. Mitten auf der Straße wechseln die Fahrer überraschend routiniert den Reifen aus.
Bei Sonnenaufgang waren wir schon in den Bergen. Der Karakoram Highway schlängelt sich entlang des Indus Flusses über 1000km durch sehr imposante Berglandschaften bis nach China, wo er zum höchsten Grenzübergang der Welt führt. So weit bin ich aber nicht gefahren. Nach insgesamt 18h reichte es auch langsam. Ich wechselte wieder zu Sommerkleidung, denn das steinerne Tal heitzt sich trotz der hohen Berge brutal auf, und machte mich auf Wanderschaft. Den Weg hatte ich mir auf der Karte zum Glück nochmal angeschaut, denn die geliehene Powerbank und mein Handy hatten keinen Saft mehr. Die Kamera glücklicherweise schon.





Ich fand mich plötzlich in diesem „Körpergrenzerfahrungs“-Modus wieder: Den schmalen Jeep Weg mit seinen steilen Abgründen und beeindruckenden Aussichten wollte ich gerne laufen. Es gab ohnehin keine regelmäßigen Touristenfahrten. Außerdem wollte ich schauen, ob ich es ohne Frühstück und Mittagessen schaffe und wie lange ich brauche, bis ich an meinen Liter Wasser heran muss. Eine 1500Hm später, es war kurz vor Sonnenuntergang, gelangte ich endlich an flachere Ebenen, an denen zelten gut möglich gewesen wäre. Außerdem war der erste Schnee in Sicht und ich fand endlich eine Quelle, was meinen Fastenplan vernünftigerweise frühzeitig beendete. Doch nicht nur das: Es kamen 3 Kerle aus dem naheliegenden Dorf zu mir und waren neugierig, was ich so alleine hier treibe. Wir verstanden uns trotz Sprachbarriere sehr gut und sie erzählten mir von einer heißen Quelle bei sich hinterm Haus. Es schien, als hätten sie vor meiner Wanderleistung mit schwerem Gepäck Respekt, jedenfalls konnte ich es mir nicht anders erklären, dass sie mich zu sich einluden, obwohl Touristen im Dorf nicht gerne gesehen sind.




Was dann folgte war ein rasanter Fußmarsch durch die Schlucht über große Steine und Baumstämme als provisorische Brücken. Wir hatten es eilig, denn Iftar stand kurz bevor. Angekommen konnte ich die ohne Mörtel gemauerten Kanäle bestaunen, die alle Häuser mit Wasser versorgen. Alles ist schön grün und es gibt in Terassen angelegte Weiden für Anbau und Viehhaltung, außerdem große Strohtürme auf den Dächern als Futterlager. Der Baustil ist einfach, aber robust. Bloß gegen Kälte waren die Häuser nicht geschützt. Nach der letzten Parcoursstrecke war ich endgültig erledigt. Als ich gerade zur Ruhe kam, wurden mir Suppe und Pommes serviert (jeder, der mal mit mir wandern war, kennt meinen plötzlichen Heißhunger auf Pommes).
Man erklärte mir, dass sich in diesem Zimmer alle zusammenfinden, um die ganze Nacht pakistanisches Mensch ärgere dich Nicht! zu spielen. Doch nach dem Essen war ich zu nichts anderem mehr in der Lage, als mit einem ganz breiten Grinsen einzuschlafen. Dass 10 Leute neben mir spielten und später auch schliefen, störte keineswegs. Mich umgab die ganze Zeit eine Aura von sehr lieben Menschen.
Am nächsten Morgen philosophierten wir über den PV Ausbau im Dorf und welche Veränderungen das Vorhandensein von Elektrizität mit sich bringen würde (aktuell reicht das Windkraftwerk für Licht und Handy aufladen) und darüber, ob man die heißen Quellen kommerzialisieren könnte. Denn aktuell sind sie noch recht geheim und werden zum Kochen von Eiern und Kartoffeln genutzt.
Mit starkem Muskelkater ging es dann weiter zu den Fairy Meadows (zu dieser Jahreszeit besser Muddows genannt) Unterwegs traf ich vier Polen auf ihrem Abstieg, sie wünschten mir beim Anblick meiner Schuhe viel Glück und ihr Guide fragte mich, ob ich derjenige sei, der ohne Jeep gekommen ist?!





Nach einer gemütlich warmen aber verschneiten Nacht ging ich auf Erkundungstour. Der Schnee ging mir meist bis zu den Knien, was vor allem ohne Aussicht auf Sonne etwas starke Nerven und warme Beine erforderte. Doch am Mittag zeigte sie sich mit ihrer ganzen Kraft, was in Kombination mit den zuvor eingenommenen Pilzen und den gigantischen Bergen vor mir zu enormer Glückseligkeit geführt hatte.



Nachdem ich gut eine Stunde zufrieden den Berg betrachtete, merkte ich am Sonnenstand, dass das gar nicht Nanga Parbat sein konnte. Dieser versteckte sich noch immer hinter Wolken und hinter Bäumen. Mir blieb nichts anderes übrig als die Wanderung, die im Sommer vielleicht insgesamt nur 2h gedauert hätte, fortzusetzen. Doch die friedliche Ruhe und die kurzen Blicke auf den Koloss, der sich mir doch abundzu zeigte, waren jede Mühe wert. Trotz etwas Getrödel und der ständigen Versuchung, doch noch das Base Camp zu erreichen, kehrte ich vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu meine Zelt zurück. Nanga bedeutet übrigens nackt… von wegen – andeuernd verhüllt.




Am Morgen danach wurde ich von einer Fellnase am Zelt begrüßt. Kurze Zeit darauf vom Park Ranger, der mich wohl schon zwei Tage gesucht hat, obwohl ich angekündigt hatte, dass ich übernachten würde. Er erzählte mir von seinen Touren mit Reinhold Messner, der seinen Bruder an den Berg verloren hat, und dass die Deutschen ja immer so schnell wandern würden und am liebsten alles alleine machen wollen…
Dieses interaktive 360° Panorama lässt sich am besten in der Google Maps App oder im Vollbild betrachten
Der Abstieg ging deutlich leichter und war sehr entspannt mit viel mehr Zeit zum schauen und staunen. Ich beneidete die beiden Jeeps nicht, die in ihren Staubwolken an mir vorbeischaukelten. Es gab so viele Steine und Farben zu betrachten, während man quasi durch 10km dicke alte Erdkruste ins Tal hinablief







mein nächster Versuch zu trampen scheiterte an 2 Dingen: Der Polizist, der das sah, gab mir einen Stuhl und erledigte das Autos anhalten für mich… Toll 😀 und: nach 2 Minuten kam tatasächlich ein Bus, der mich bis nach Islamabad mitnahm. Wieder zum regulären Preis von 8€. Hab‘ ich ein Glück.



Die Rückfahrt war ansonsten fast wie die Hinfahrt. Der Busfahrer war wieder einer, der eigentlich Rallye-Fahrer werden wollte und leider lassen die Motoren dieser Toyota Busse dies auch zu. Nach dem Motto: Wer bremst, verliert!wurde selbst in uneinsichtigen Kurven die Gegenfahrbahn mitgenutzt. Die Frau vor mir hat sich regelmäßig aus dem Fenster übergeben. Nach den ersten 2 Stunden dann wieder eine Reifenpanne – innerer Reifen hinten rechts, genau wie auf der Hinfahrt. Und dann 8 Stunden später hatten wir einen Motorschaden und ein Ersatzbus musste her.
In Islamabad habe ich nur noch meine Rückreise nach Karachi mit dem Flugzeug und einen Transport des Arbeitsequipments vom Solarpark organisieren müssen, was dank meiner Freunde in Karachi auch problemlos funktioniert hat.
Zum Schluss möchte ich nochmal betonen, wie ehrlich-freundlich und offen die Pakistanis sind. Ich habe viel über Religion, Kultur und Mentalität gelernt und sehr viele Vorurteile für mich beseitigt. Ich wünsche all den Menschen, die mit mir über heikle Themen gesprochen haben, die sie sonst niemandem im eigenen Land anvertrauen würden, dass sie sich untereinander finden, austauschen und gemeinsam Teil der Lösung werden können. Auch wenn ich mich, gefragt, wie ich es in Pakistan finde, oft gefühlt habe wie Morty, der den Plutorianern sagt, dass Pluto ein Planet ist, sehe ich sehr viel Potential, das nur darauf wartet, genutzt zu werden.
Wenn du bis hierhin gelesen hast, bedanke ich mich für dein Interesse! Aber auch, wenn du nur die Bilder angeschaut hast. War ja wirklich viel Text.
















































