Nach dem Stadttrubel suchte ich etwas Zeit in Ruhe und Abgeschiedenheit. In einer kurzen Recherche nach interessanten Sehenswürdigkeiten um Rio herum überzeugte mich die Insel aufgrund ihrer Attribute: ‚ursprünglich‘ und ‚ohne Autos‘. Mit einer Ausdehnung von 25km ist die „Große Insel“ zudem gerade noch groß genug, damit maneine Woche lang jeden Tag etwas neues entdecken könnte. Schweres Gepäck wie Powerbank und Laptop durfte ich freundlicherweise im Hostel lassen, sodass ich mich beim neuen Packen mehr auf Essensvorräte konzentrieren konnte. Meine Versuche, vor dem Übersetzen noch eine Machete und eine passende Gaskartusche zu organisieren, scheiterten leider. Das hat den Speiseplan aber insofern nicht beeinflusst, als dass ich nun noch ambitionierter war, trockenes Feuerholz zu finden und auch ohne Machete oder sonstige scharfen Gegenstände Essen zuzubereiten bereit war. Ein Taschenmesser hatte ich natürlich nicht im Handgepäck.



Mit dem Schnellboot dauerte die Überfahrt nur ca. 25 Minuten. Der erste Eindruck aus der Ferne: Wow, ganz schön groß! Wir legten an dem kleinen Steg in Vila do Abraao an, an dem wohl kurz zuvor ein Boot unterschiedlichste Waren vom Festland angeliefert hatte, die nun per Sackkarren und Wagen an ihren Bestimmungsort gebracht wurden. In der Bucht ankerten an die 100 weitere kleine Bötchen. Die Promenade war typisch touristisch und sehr überlaufen, hat aber, wie ich erst in der Woche darauf feststellen durfte, vor allem bei Dunkelheit mit all den schönen Lichtern einen besonderen Charme. Doch ich hatte eine andere Mission! Schnell die letzten Lücken im Rucksack mit ein paar Mangos und Bananen stopfen, ein letztes Mal ein Lebenszeichen über W-Lan absetzen und dann nichts wie raus aus der Zivilisation.
Ohne weiter darüber nachzudenken, in welche Richtung es wohl am geschicktesten wäre zu laufen, befand ich mich schon auf dem Weg nach Osten zur Atlantik-zugewandten Seite der Insel. Das erste Zwischenziel war Dois Rios, eine größtenteils verlassene Siedlung, in der bis zur Schließung des Gefangenenlagers in 1994 die Wächter untergebracht waren. Ruinen des Gefängnisses sind noch vorhanden, wenige ehemalige Angestellte leben angeblich noch immer dort, doch ich habe in der Geisterstraße kein bewohntes Haus identifizieren können.



Ursprünglich wollte ich viel weiter als bloß 10 km laufen, aber da ich eine nette Begleitung hatte und der Strand so zum Verweilen einlud, entschied ich mich kurz vor Sonnenuntergang doch nicht mehr aufzubrechen und ich schlug ein Lager am Waldrand mit Blick auf dieFlussmündung ins Meer auf. Der robuste Bambus eignete sich gut, um meine für die Hängematte auserwählten Bäume in der perfekt dafür vorgesehenen Waldniesche zu verstärken. Etwas Rauch und Moskitocreme reichten offenbar aus, um weitestgehend von den lästigen Insekten verschont zu bleiben. Bei absoluter Dunkelheit zogen sich die Mücken in ihre Löcher zurück und gaben die Nachtbühne für die Glühwürmchen frei, die mit einer beachtlichen Leuchtkraft die ganze Nacht um mich herum blinkten. Eine gelungene erste Nacht.









Es folgten ein paar Tage durch den atemberaubenden Dschungel, der einen immer wieder mit neuen bunten Schmetterlingen, kreativen Baumkompositionen und Felsformationen zu beeindrucken wusste. Immer, wenn man mal Durst verspürte, wartete der nächste kleine Wasserfall um die Ecke und die Lust zu schwimmen konnte häufiger am Tag an einem Traumstand gestillt werden. Die Momente, wenn man den dichten Wald verlässt und solche Strände vor sich findet, habe ich am meisten genossen. Als einmal kein Süßwasser weit und breit war, und ich gerne noch etwas in der Mittagssonne am Strand brutzeln wollte, habe ich sogar ein paar Kokosnüsse zum Trinken gefunden. Weniger schön fand ich die Spinnen, die ihre Netze immer so schwer zu erkennen auf Kopfhöhe aufspannen mussten. Ich hatte so häufig eine dieser Spinnen im Gesicht, deren äußeres Erscheinungsbild „Fass mich an und du bist tot“ schreit, dass ich vermute, dass diese Strecke schon länger niemand mehr gegangen ist. Offenbar waren sie harmlos, im Gegensatz zu den Ameisen, die einem in Sekundenschnelle in die Beine beißen, obwohl man schon auf Zehenspitzen durch ihr Revier rennt, während man sie sich bei jedem zweiten Schritt von den Füßen schlägt. Kopfkino? Gern geschehen. Dann kommt hier noch einer dieser Strandbetretmomente auf Video festgehalten.
Der zweite Teil der Wanderung auf der Festland-zugewandten Seite unterschied sich vom ersten Teil insofern, dass er von gut besuchten Stränden und etwas breiteren Wanderpfaden geprägt war. Doch auch hier meiden die Menschen die Wege und bevorzugen das Boot, um von Bucht zu Bucht zu kommen. So hatte ich zumindest zwischen den Stränden noch meine Ruhe. Dort bekam ich einige Tiere zu sehen, die sich vorher scheinbar besser vor mir versteckt haben. Bisher hatte ich hauptsächlich Tejus dabei beobachtet, wie sie panisch die Flucht ergriffen, sobald ich nur den kleinsten Laut von mir gab. Doch hier wurde ich morgens von Weißbüschelaffn geweckt, die ich geräuschemäßig anfangs ins Reich der Vögel zugeordnet hatte. Doch ihr niedliches Quieken bei jeder Bewegung war doch zu auffällig. Auch erwähnenswert ist eine Gruppe Nasenbären (oder ähnliche), die mich aus den Bäumen heraus beworfen hat.






Die liebsten Tiere waren mir jedoch die drei Hunde, die sich in einer der Siedlungen mit mir angefreundet haben. Zwei von ihnen begleiteten mich mehrere Kilometer bis zum nächsten Strand, wo ich sie wieder nach Hause schickte. Das Wetter wurde langsam ungemütlich, ich wusste nicht wie kalt die Nacht werden sollte, der Regen wurde immer stärker und ich hatte andere Sorgen, als mich um die beiden zu kümmern. Relativ deutlich gaben sie mir zu verstehen, dass sie sich wohl eher um mich kümmern würden als umgekehrt. Sie ließen sich nicht zurück schicken. An einer Gabelung trennten sich unsere Wege, denn sie gingen nach rechts wo ich aber nach links musste. Doch nach kurzer Zeit waren sie wieder bei mir und schauten mich irritiert an. Verunsichert zückte ich meine Offline-Karte. Mist, sie hatten recht. Wieder auf dem richtigen Weg angelangt schien es, als könnte ich es noch vor Einbruch der Dunkelheit zum Wasserfall schaffen. Doch der Weg war glatt und steil, und das Profil der aufgequollenen Hornhaut meiner Füße wirkte wenig rutschmindernd. Die Hunde, die viel geschickter waren, warteten geduldig. Wir kamen am Wasserfall an, der Regen wurde weniger und mit großer Vorfreude spannte ich das Tarp und darunter die Hängematte. Den Hunden gefiel der Ort auch gut, jedenfalls kuschelten sie sich direkt unter mich. Wir schliefen beim Anblick der vielen Glühwürmchen und dem Getöse des Wasserfalls ein und ich erwachte erst, als die Hunde die ersten Touristen mit Gebell versuchten zu verscheuchen.

Bei der Aufnahme des letzten Fotos rutschte ich leider aus und verstauchte meine Fußzehn so sehr, dass ich nicht mehr auftreten konnte. So hatte ich in der kalten Nacht wenigsens keine kalten Füße, doch der Weg zurück nach Abraao am nächsten Tag zog sich dadurch etwas unnötig in die Länge. Zum Glück war es der letzte Tag und ich konnte mich im Hostel noch zwei Tage ausruhen, bevor mich die Fähre zurück ans Festland nahm.





















